Der Text findet sich in der Chronik zum 40-jährigen Bestehen des Vereins 1987 und wurden von Hannelore E. Brand und Klaus Schröder verfasst.
Die Chronisten haben das Wort
Chronisten haben mit der Chronik zu tun, und Chronik kommt von „chronos“; „Zeit“ ist also im Spiel, in unserem Falle 40 Jahre Zeit, viel oder wenig, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet. Nun wählt der Chronist für seine Form der Darstellung oftmals den Bericht, und das geschieht in der Vergangenheit. Aber für uns Chronisten, die nicht nur mit dem Bleistift, sondern auch mit dem Gefühl schreiben müssen, was bekanntlich jeder objektiven Wiedergabe abträglich ist, hebt sich Zeit auf, wird Vergangenes gegenwärtig, werden Daten und Namen lebendig. Sind wir selbst doch schon seit Jahrzehnten mit von der Partie gewesen, in frühen, dürftigeren Zeiten mit dem Ranzen auf dem Rücken, den verschlissenen, notdürftig zusammengehaltenen Koffer am Ostanleger ins Bähnchen schleppend, Onkel Fritz auf der Lok begrüßend, und in angespannter Erwartung, was da gleich hinter der ersten Düne erscheinen werde, bis hin zu den „Jahren“, nun manchmal in Amt und Verantwortung für die vielen, zu denen man einst selbst gehört hat, die es aber jetzt, der heutigen Zeit angemessen, bequemer haben dort im Westen. Da kann man nicht einfach Datum an Datum reihen, und der Leser möge es uns verzeihen, wenn wir den Pfad der Sachlichkeit bisweilen verlassen; auch die sträfliche Gegenwartsform im Bericht möge er entschuldigen, den Vergangenes ist zumeist nur für den Historiographen vorbei, nicht aber für den beteiligten Augenzeugen.
Nun also! Man schreibt das Jahr 1947. Auch in unserem Heimatstädtchen im Elsetal hat der Krieg schmerzliche Spuren hinterlassen. Zwar sind die Zerstörungen gottlob gering geblieben, aber man muss dennoch eng zusammenrücken. 300 Häuser sind beschlagnahmt, und zahlreiche Evakuierte und Flüchtlinge brauchen ein Dach über dem Kopf. Der letzte Winter ist hart gewesen und die Tagesration von 1500 Kalorien bedeutet in unserem Land „Bizonesien“ nicht gerade ein opulentes Mahl. Für ein Ei bezahlt man bis zu zwölf Reichsmark! Aber wer zahlt schon mit Papier? Da hat man anderswo Zigaretten, in Bünde hat man das eigene „Gold“, die Zigarre, oder man hat sie nicht. Manche haben sie nicht, - und deshalb haben sie auch nichts. Aber wenigstens die Kinder haben etwas, Schulspeisung, und dann hin und wieder mal ein Care-Paket. Banane ist ein Fremdwort, Schokolade exotisch, und mancher wohnt zwischen Decken und Laken, die den Wirtssaal unterteilen. So ist es!
Da gibt es in Bünde einen Lehrer namens Hermann Wagenfeld, der all dieses sieht, der, wie viele andere auch, in irgendeiner Weise helfen will, wenigstens erst einmal jenen, mit denen er täglich zu tun hat, den Kindern, den Jugendlichen, die am wenigsten schuldig sind an alledem, die es einmal besser haben und besser machen sollen. Er kennt von seinen zahlreichen früheren Besuchen der Westturmjugendherberge die Insel Wangerooge, oben im Norden, gute 200 Kilometer von Bünde entfernt. Und da gibt es im Osten der Insel in völliger Abgeschiedenheit Bauten - das Wort Baracken wollen wir vermeiden! - recht eigenartiger Architektur: zwei stehen dicht an der Düne, teils „hochgebockt“ eine sehr hoch auf Stelzen, weithin sichtbar wie das Seezeichen, die „Eieruhr“, dazwischen Bunkerreste, die verraten, welcher Zweck hier zuletzt erfüllt worden ist. Etliche Jahre haben sie auf dem Buckel, diese Bretterwände. Weit muß man zurückgreifen ins Jahr 1909, als für die Arbeiter, die sogenannten Schlengen anzulegen haben, eine Bude auf hölzernen Pfählen zur Unterbringung errichtet wird. Von einer Düne ist weit und breit noch keine Spur, und deshalb schwimmt diese Behausung bei Flut förmlich auf dem Wasser. Der Erste Weltkrieg ändert die Bestimmung, die Königlich Preußische Inselwache Ost zieht ein, und ihr Befehlshaber Tamling gibt 1914 einer zweiten Behausung, nun auf wesentlich höheren Pfählen, den Namen, den sie für Jahrzehnte tragen sollte: Tamlingshöhe.
1927, man schreibt friedlich Jahre und deshalb hat zivile Nutzung wieder Vorrang, wird für die „Schlengenkerls“ eine dritte Behausung geschaffen, die alte Schlengenbude aber funktioniert man um; Material soll gelagert werde, ein Gleisanschluß wird nötig, und die kleine Lok erhält ihren Unterstellplatz: der „Lokschuppen“ ist geboren. Es dauert nicht lange, und wieder zieht Militär ein. 1939 werden die drei Gebäude beschlagnahmt, die Wehrmacht braucht für die Soldaten der im Osten der Insel liegenden Flak-Stellung ein Dach über dem Kopf. Nach dem Krieg stehen diese Gebäude nun leer; das weiß auch Hermann Wagenfeld. Könnte man sie nicht sinnvoll nutzen? Soll man sich diese einmalig Lage entgehen lassen? Kurz und gut, der Verein „Erholungsheim der Bünder Volks- und Mittelschule“ wird aus der Taufe gehoben, und zu dem engagierten Lehrer gesellen sich laut Gründungsdokument noch andere Gleichgesinnte: Paul v. Hagel, Horst Lockert, Gustav Schniedermann, und Hein Schulte. Und da wir gerade bei den Namen sind, sollen auch gleich jene genannt werden, die wir als erste Funktionsträger bezeichnen müssen und denen folglich die Pionierarbeit zugefallen ist. Friedrich Bakemeier ist als Rektor der Schule quasi in Personalunion gleichzeitig Vorsitzender des Vereins, Otto Beckmann wird sein Stellvertreter, Emil Schaberick Schriftführer, Heinrich Kuhles Kassierer und Hermann Wagenfeld selbst „Leiter des Ferienheimes“, so geschrieben „am 26 September 1947, abends 8 1/2 Uhr“. Der Regierung in Minden hat man mitgeteilt, daß das Mitfahren der Schüler ins Heim auf „absoluter Freiwilligkeit“ beruhen soll, da „manche Eltern nicht auf die Lebensmittelkarten und Kartoffeln für vier Wochen verzichten wollen“.
Vier Wochen „Kur“ sollen den Kindern also zukommen. - Man reist mit notdürftig hergerichteten Lastkraftwagen an, unter der Bank die Kartoffelsäcke, schnuppert in Wilhelmshaven die erste Brise Seeluft und macht auf der „Arngast“, später der „Rüstringen“, mehr oder weniger gut seine frühen Erfahrungen auf den großen Wogen. Dann geht’s über den Ostanleger, damals Anlaufstelle der Insel, zum Heim, wo man im Lokschuppen oder auf Tamlingshöhe in großen Schlafsälen Quartier beziehen wird, wo schon bald der Badearzt Dr. Siemens aus dem Dorf anreist, um die Notwendigkeit einer Kur festzustellen, wo insgesamt alles so ganz anders ist als zu Hause. Ja, es gibt auch wohl Unterricht! Aber wie haben doch die Verantwortlichen der Regierung mitgeteilt? Er soll der „Landschaft angeglichen werden“. Und dies ist nun mal mit der heimischen Welt nicht zu vergleichen, denn wer von den Kindern ist schon jemals vom Geschrei der Austernfischer geweckt worden? Wer hat den schon durch die Astlöcher der Bohlen unterm Bett in die Fluten des Ozeans blicken können? Übrigens, solche Astlöcher eignen sich vorzüglich dazu, im Schlafraum zusammengefegten Sand ohne große Mühe wieder loszuwerden! Ach ja, der Sand, den gibt’s reichlich und überall. Da der Nachmittag laut Schreiben an die Bezirksregierung für „Spiel und Sport sowie freie Betätigung am Strande zu verwenden“ ist, wird viel von dem knisternden Etwas in alle Winkel getragen. Dabei gehört den Bünder der Sand gar nicht einmal. Die Behausungen selbst sind einstweilen gepachtet worden, kaufen kann man sie noch nicht; damit muss man bis 1954 warten, als die Bundesvermögensstelle sich schließlich zum Verkauf bereit erklärt. Aber das Gelände ist katastermäßig überhaupt noch nicht erfasst, und deshalb bleibt es Staatseigentum. Also kann man auf dem Areal nicht nach eigenem Gutdünken schalten und walten. Man muss behutsam damit umgehen, wie man es eben mit fremdem Eigentum zu tun pflegt. So gibt es zwangsläufig auch etliche Verbote, in erster Linie bezüglich der so einladenden Dünen, denn sie sind der Schutz, die Mauer, hinter der sich das Heim duckt.
Im Jahre 1951 übernimmt dann Rektor Heinrich Schröder den Vereinsvorsitz. Vor drei Jahren hat man bereits den Transport von der Straße auf die Schiene verlegt, und es ist wahrlich dedes mal in Bünde ein großer Bahnhof, wenn die Jungen und Mädel die eigens bereitgestellten Waggongs besteigen oder wenn sie nach vier Wochen zurückkehren und die Geräusche des einrollenden Zuges vom „Wangerooger-Bummler-Lied“ übertönt werden. mit der ersten „Kur“ im Mai geht's los, und im September kommen die letzten 120 Kinder zurück; sech- bis siebenmal 120 sind es dann gewesen, und dann ist im September auch „Opa Husemeyer“ wieder unter den „Heimkehrenden“. Er hat im Sommer über im Heim nahc dem Rechten gesehen, hat dieses und jenes repariert oder neu erstellt und somit gemeinsam mit der Köchin und dem Hauswart das „Stammpersonal“ gebildet. Aber daß alle klappt, daß die Schüler auch zu dem kommen, was man als die Ziele der Schullandheim-Pädagogik bezeichnen möchte, das müssen die Pädagogen selbst leisten, die betreuenden Lehrer, die vielen, die nicht nur ihren Dienst verrichten wollen, sondern die selbst hinter der Sache stehen, manchmal auch davor, vorm Kochtopf nämlich, wenn die Köchin aus irgendwelchen Gründen ausgefallen ist. Da sind zunächst die Lehrer der „Bünder Volks- und Mittelschule“, sie sich ganz mit der Schullandheim-Idee identifizieren, die die Aufenthalte lebendig gestalten, den Seelentröster oder die Krankenschwester spielen, oder wie Heinrich Brand, in in Wirtschafts- und Geschäftsführung tätig, und Walter Neukamp als Kassierer sich zusätzlich schon sehr früh in den Dienst des Vereins stellen, indem sie wichtige Funktionen übernehmen. Da sind aber auch die vielen anderen Bünder Bürger, die als Eltern oder einfach als an der Sache Interessierte im Verein mitarbeiten, wie der Kaufmann Heinrich Lange, oder mit ihren helfenden Händen in vielerlei Weise dabei sind. Wer zählt all jene Mütter, die ihren Platz am heimischen Herd gegen den Platz vorm großen Kohle-Kochkessel eingetauscht haben? Bald darf man sich Herr des Hauses nennen, denn (die) Baracken - nun ist das Wort doch gefallen! - werden 1954 für 10000 DM gekauft. Man kann nun auch daran gehen, sie zu verschönern. Der Lokschuppen und das Wirtschaftsgebäude erhalten eine Verschalung, für den unter Vertrag genommenen Hausmeister wird ein gesondertes Zimmer geschaffen, der Speisesaal erhält seinen Zugang von der Westseite, und die großen Schlafsäle gibt man zugunsten kleinerer Räume auf: acht Betten je Zimmer sind denn ja auch genug! Zu alledem hat die Stadt Bünde eine Glocke gestiftet, die von nun an „die Jugend rufen“ soll. Auch der sanitäre Bereich wird verbessert; die berühmte „Eisdiele“ weicht einem ordentlichen Toilettenhäuschen. Verschweigen wollen wir aber nicht, daß dennoch gerade in dieser Beziehung manches im Argen geblieben ist und alle Verantwortlichen ständig gefordert worden sind, zu improvisieren und aus der Not eine Tugend zu machen.
Da sind wir auch schon bei den ungezählten Arbeitseinsätzen jedweder Art, in den meisten Fällen natürlich auf freiwilliger Basis, was die Schüler aber betrifft, bisweilen nicht ganz freiwillig und immer selbstverständlich als pädagogische Maßnahme „weben mangelnder Anpassungsbereitschaft“ zu werten. Klar, wo 120 muntere Rangen einen ganzen Monat zusammenleben müssen, geht es nicht ohne Spielregeln. Wer die mißachtet, dem muss man ihren Sinn verdeutlichen. Und dazu gibt es viele Möglichkeiten! Vielleicht sind unsere Leser ja selbst einmal in den Genuß gekommen, und das erspart und jetzt die Darstellung der Einzelheiten.
Erheblich Transportprobleme auf der Insel entstehen, als 1959 die Inselbahn-Strecke abgebaut wird. Wirtschaftliche Versorgung und Krankentransport sind zu überdenken, liegt man schließlich doch 2,5 km außerdeichs ohne festen Zugangsweg. „Was tun?“ fragt sich wohl auch Realschuldirektor Heinrich Eickmeier, der zu diesem Zeitpunkt amtierende Vorsitzende des Vereins, um die etwa 5,5 km zum Bahnhof für alle Beteiligten erträglich werden zu lassen. Nun, wenn ein öffentliches Transportmittel ausfällt, schafft man ein eigenes an; in diesem Falle zunächst ein Pony mit Wagen. Schnell stellt sich heraus, daß Naturalien dieser Größenordnung doch besser von einem „richtigen Pferd“ bewältigt werden können. Anzuspannen ist nicht nur für Bünder Kinder, denn nach dem Mauerbau 1961 folgen junge Berliner der Einladung, sich im Osten Wangerooges in einer völlig „anderen Welt“ zu erholen. Drei Wochen dauern die Kuren nun noch, die Kosten betragen 90 DM.
Fest stehen die Pfähle, gewappnet sehen die Holzbauten dem Winter entgegen; doch dann kommt die Februarflut 1962. Die Glocke geborsten, Holzmengen - ja, die gesamte hölzerne „Tanzdiele“ - weggerissen und, was am Schlimmsten ist, der Brunnen versalzen. In 9500 Arbeitsstunden haben tüchtige Hände die ersten Schäden behoben, das „Arbeitskommando“ -35 Schüler und 10 Erwachsene - betoniert in den Osterferien Auffahrt und Stellfläche vor dem Speisesaal, Spenden in Höhe von 22700 DM tragen dazu bei, den Gesamtschaden von 100000 DM aufzufangen. Und was niemand zu hoffen wagte, die Saison beginnt nach Plan am 17.05.1962. Dem „verlorenen Brunnen“ allerdings ist nicht so schnell Abhilfe zu schaffen: Ein Jahr lang wird man das Wasser per Jauchefass aus dem Dorf transportieren müssen; dann endlich erreicht das lebensnotwendige Nass durch eine 3,8 km lange Wasserleitung, vom Bremer Heim her gebaut, das Heim der Bünder.
Es geht also weiter! Der „Bünder Express“ rollt pünktlich aus, und nur die berühmte höhere Gewalt kann Busfahrer und Bus daran hindern, auf die Minute genau wieder in Bünde die Einfahrt zum Stadtgartenparkplatz unter lautem Kindersingen und Winken der großen Elternschar zu passieren. Da halten nicht einfach Busse, nein, man erwartet die bekannte „Busparade“; und wenn der Transport einmal schneller war, dann wird eben an der Wasserbreite gewartet.
Die Zeit bringt räumliche Veränderungen; ab 1965 werden die Mahlzeiten in einem großen Speisesaal eingenommen, aber das Mittagessen wird von den Schülern, noch immer an den „Durchreichen“ abgeholt, nicht zu vergessen die Riesenmengen an Brotscheiben, die, mit Marmelade bestrichen, zur Kaffeezeit von den Kindern um die Wette gegessen werden. Die „Küchenhilfen“ haben alle Hände voll zu tun, die hungrige Bande zu versorgen. Ja, nicht vergessen werden darf hier, daß diese „guten Geister“ nun in eigens für sie gebauten Zimmern ausruhen können. Die pädagogische Besatzung bekommt ein Lehrerzimmer mit dem berühmten „Milionärsblick“. Von hier den Mond im Wattenmeer spiegeln zu sehen, ist so unbeschreiblich schön, daß auch mit einem Stimmungsbild diesem Anblick zu kurz getan wäre - also lassen wir es. Man möge sich erinnern!
1966 löst Hein Bresser den Realschullehrer Gerhard Sagert als Kassierer ab; Helmut Finkemeier ist nun als Schriftführer dem Schullandheim verbunden. Die Finanzen stimmen; die Sturmschäden der Jahre 1966 und 1968 werden behoben, und man stellt die Energieversorgung auf Propangas um.
Hygiene fordert ihre Rechte, die Herren des Vorstandes planen einen Toilettenneubau mit Duschen. Das nicht etwa, weil den Kindern der Weg zum „Donnerbalken“, wie sie das stille Örtchen nennen, zu weit oder der Aufenthalt dort im Schein der Taschenlampe zu mühselig wäre, nein, da gibt es der Zeit entsprechend höheren Ortes bestimmte Vorstellungen von den Möglichkeiten moderner Körperpflege.
Das Wasser- und Schifffahrtsamt ist mit dem Bau der neuen Anlage einverstanden, aber per Brief lässt die Verwaltung der Insel Wangerooge in einem Schreiben von 1969 wissen, man möge „von einer weiteren Bebauung im Osten … Abstand nehmen.“ Es ist das Todesurteil für die Pfahlbauten, wie sich bald herausstellen wird. Stirbt nun auch die Idee…? – Nein, der Realschullehrer Hans Niewöhner übernimmt 1969 den Vorsitz und plant einen Neubau.
Eine Satzungsänderung erfolgt; die Mitglieder des geschäftsführenden Vorstandes werden nun gewählt, der erweiterte Vorstand entsteht kraft Amtes, Mitspracherecht erhalten somit auch Stadtdirektor, Bürgermeister und Schulleiter. Wegen der Größe des Unternehmens wird der Kassierer zum Schatzmeister umbenannt; er übernimmt nun auch die Geschäftsbuchführung.
Es wird ein großes Unterfangen – die Vorstellungen sind konkret, aber woher nimmt man das „liebe Geld“? Hans Niewöhner packt die Sache auf seine Art an; er ist ein organisatorisches Talent und kann mit Menschen umgehen. So geben denn auch diese, was an Bargeld fehlt. Am 6.7.1970 führt er die Feder selbst an den „Herrn Minister für Soziales“. „Betr.: Finanzielle Hilfe für die Errichtung eines Schullandheimes im Staatsbad Wangerooge.“ 1971 verfügt man bereits über Eigenmittel von 200000 DM, die größtenteils durch Bürgerinitiative aufgebracht werden. In diesem Jahr kann der Schriftführer Kurt Mailänder in das Protokoll aufnehmen: “Nach längeren Verhandlungen im Westen das Grundstück von 15000 qm à 3,50 DM gekauft.“
Eine neue Ära beginnt zeitlich genau mit dem 25-jährigen Jubiläum des Vereins Bünder Schullandheim. Tausend Gäste feiern im Bünder Stadtgarten und wollen ihren Ohren nicht trauen, als dort plötzlich die Glocke des alten Heimes erklingt. Sie läutet erneut das Amt für Heinrich Brand ein, der nunmehr zum Geschäftsführer „gewählt“ wird. Sprunghaft steigen die Mitgliederzahlen an. Am 30.11.1973 ist es dann soweit: der Grundstein für den Neubau wird gelegt. Es entsteht eines der modernsten Heime mit 40 Vierbettzimmern, das 2800 Kinder pro Jahr beherbergt. Drei Millionen sind für den Neubau notwendig. Eine einzigartige Spendenaktion von 150000 DM erreicht durch Verlosungen, Sammlungen durch Schüler, Schaufrisieren und Versteigerungen, hat der Finanzierung von NRW mit 800000 DM, Bünde mit 500000 DM, und den Partnerstädten Löhne mit 230000 DM und Lemgo 80000 DM den Restbetrag erbracht, der noch fehlt, damit Hans Niewöhner sein Werk in Angriff nehmen kann. Im Februar 1975 füllen sich die Steine erstmals mit Leben; vier Klassen der Realschule Bünde-Nord beziehen für 21 Tage das neue Heim.
Und als sich das in der Vereinsgeschichte so wichtige Jahr dem Ende zuneigt, haben die Verantwortlichen, die ersten hundert Lehrer, die zahlreichen helfenden Mütter und vor allem die weit über 2000 Schüler ihren ersten Erfahrungen mit dem Neuen gemacht. Viele sind unter ihnen, denen aus eigenen Erleben des Vergleich zu den Pfahlbauten möglich ist – und der sich manchmal auch aufdrängt. Sicher, viel Vorteilhaftes, das Einmalige der Landschaft, das auf Du mit der Natur, der Zwang zum Improvisieren – um nicht zu sagen: Kreativität! -, das alles ist im Osten geblieben; im Osten geblieben sind aber auch die vielen Nachteile, die dem nicht eingeweihten Binnenländer nicht immer einsichtig sind, die Gefahr, weit jenseits des Deiches zu sein, die mangelnde Absicherung der Versorgung – und Entsorgung -, und schließlich ständig das Gefühl, der Unbill des Wetters ausgeliefert zu sein. Darunter kann man einen Schlussstrich ziehen. – Ein eigener Gleisanschluss, ein gesicherter Zufahrtsweg, eine Kücheneinrichtung, an der mancher Hotelkoch seine Freude haben kann und die somit auch einen abwechslungsreichen Speisezettel ermöglicht, geheizte Räume, moderne sanitäre Einrichtungen, vieles, vieles mehr, vor allem aber der Schutz hinter hoher Düne und sicherem Deich, dafür muss man schon etwas opfern. Umschreiben wir es mit dem so oft gebrauchtem Wort „Romantik“, jeder mag es auf seine Weise füllen.
Hans Niewöhner, der „Vater“ der neuen Anlage, wie ihn ein Pressekommentator genannt hat, kann jedenfalls am Ende des ersten Jahres vor den Beschlussgremien die Funktionsfähigkeit des neuen Heimes feststellen. Zudem hilft die ein oder andere Spende, vom Vorsitzenden in bewährter Form hereingebracht, die Ausstattung des Hauses zu erweitern und das Freizeitangebot für die Schüler noch farbiger zu gestalten. Bliebe aber noch die Aufgabe, im Osten Klarschiff zu machen, denn dazu ist man laut Pachtvertrag gezwungen. Gerne träte man natürlich der Universität Stuttgart für ein Geringes die alten Gebäude ab, den die Herren Professoren haben reges Interesse daran, sie als meeresbiologische Station zu nutzen. Was ja auch sinnvoll wäre! Aber da gibt es Widerstände seitens der Insulaner, die so eigene Vorstellungen von ihrem Oststeert haben, da sind zudem unverständlicherweise plötzlich mutwillige Zerstörungen an den Pfahlbauten festzustellen. und so muss der Verein nocheinmal tief in die Tasche greifen, um für 43000 DM den Abbruch durchführen zu lassen. Am Abend des 2 Febr. 1976 kündigt dann ein roter Feuerschein im Osten der Insel an, daß die letzte Stunde des alten Bünder Heims geschlagen hat. Wie gut für manchen, daß man ihn nicht von Bünde aus sehen kann!
Aber nach vorn, in diesem Fall nach Westen, geht der Blick. Und es geht vorwärts und aufwärts. Die Mitgliederzahlen steigen wiederum sprungartig an und bewegen sich auf die 1 500-Grenze zu. Der Jahresumsatz, der 1974 im Osten unter einer halben Million gelegen hat, erreicht nun in den neuen Mauern eine Größenordnung von über 1,2 Millionen. Eine solche Dimension verlangt von Lehrern zwangsläufig auch kaufmännische Fähigkeiten. Solche muß vor allem der Geschäftsführer aufweisen, und Heinrich Brand, der stellvertretende Direktor der Realschule, hat in jeder Hinsicht die längste Erfahrung; findet sich sein Name doch über drei Jahrzehnte in den Annalen des Vereins. Sein ruhiger, besonnener, die Dinge kritisch abwägenden Standpunkt, seine Arbeitsweise bilden in manchem klippenreichen Gewässer die markierenden Bojen. Wirksame Unterstützung erfährt der „engere“ Vorstand aber auch durch die satzungsmäßig geregelte „Erweiterung“, durch jene Mitglieder, die durch Amt und Würden oder Wahl mit dem Verein verbunden sind, also durch die Bürgermeister und Stadtdirektoren der Partnerstädte und durch die jeweiligen Vertreter der beteiligten Schulen.
Die Vereinsführung wird im Jahr 1979 in die Hände des Realschullehrers und späteren Konrektors Klaus Hildebrand gelegt. Ihm fällt die Aufgabe zu, das Geschaffene zu sichern, zu verbessern, wo es erforderlich scheint, und vielleicht auch als Angehöriger einer „neuen Wangerooge-Generation“ neue Wege zu beschreiten.
Dem Wunsche einiger Schulen entsprechend, verkürzt man 1980 die Aufenthalte auf 14 Tage. Somit verbucht der neue Geschäftsführer, der Realschullehrer Reinhard Franz, jährlich die Zahlungen von nahezu 3000 Schülern, die jetzt für einen Inselaufenthalt 270,-- DM entrichten. Und auf geordnete Finanzen muß schon Obacht gegeben werden, denn Häuser werden nicht für die Ewigkeit gebaut, und das aggressive Seeklima fordert seinen Tribut. So muß 1985 das Flachdach für 120000,-- DM renoviert werden, und diese und jenes bedarf im Hause selbst der Veränderung oder Erneuerung. Hier sollen auch die vielen Arbeiteinsätze der Freiwilligen nicht unerwähnt bleiben, die Jahr für Jahr unter sachkundiger Leitung des Dipl.-Ing. Hans-Günther Schulz, der mittlerweile das Amt des Schriftführers bekleidet, die Räumlichkeiten ausbessern und wieder auf Hochglanz bringen. Viele helfende Hände sind es auch in den Jahren 1981/82 gewesen, die es ermöglicht haben, eine verbildliche Sportanlage ihrer Bestimmung übergeben zu können. Daß dennoch die Vereinskasse dafürr um 550000,-- DM erleichtert worden ist, wird jeder verstehen, der diese sinnvolle Investition, selbst in Augenschein genommen, - oder gar „spielerisch“ genutzt hat. Man muss aber nicht unbedingt auf die Insel fahren, um sich ein Bild machen zu können; das kann man 1984 auch in den Räumen der Kreissparkasse Bünde, wo eine vielfarbige Ausstellung, in erster Linie von Schülern und Lehrern gestaltet, ins Bünder Heim und in die Inselwelt einführt. Gleichzeitig legt sie Zeugnis ab von dem bisher Geschaffenen und macht deutlich, wo die ein oder andere Mark für die bislang 50000 Schüler-Gästen denn geblieben ist – oder aber, wo sie in Zukunft noch gebraucht wird. Gebraucht werden nämlich noch etliche „Märker“!
Großes hat der Verein sich bis 1989 vorgenommen. Für insgesamt etwa 1 Million DM erhält das Heim aus Gründen der Energieersparnis und zum Schutz des gesamten Baukörpers eine Verklinkerung, die Klassenräume werden in der Weise verändert, daß künftig jede Gruppe ihren eigenen Raum zur Verfügung hat, und die Elektrospeicheröfen wird man zugunsten einer energiegünstigen gasgefeuerten Zentralheizung aufgeben. Das Problem des in jeder Hinsicht lästigen Klärsystems ist bereits 1986 durch Anschluß an die neu erstellte Kanalisation gelöst worden.
Zieht man nun am 40. Geburtstag Bilanz, so darf man wohl zufrieden sein. Haben auch die sinkenden Schülerzahlen der vergangenen Jahre besonders dem Schatzmeister Heinz Bresser und natürlich auch dem Vorsitzenden Klaus Hildebrand manche Kopfschmerzen bereitet, und das Ausscheiden der Partnerstadt Lemgo im Jahre 1985 hat sicherlich nicht zur Besserung beigetragen, so hat man doch durch intensive Bemühungen seitens der Mitglieder des geschäftsführenden Vorstands neue Kontakte knüpfen könne, die vertrauensvoll in die Zukunft blicken lassen. Die Städte Lippstadt, Herford und Bad Oeynhausen sind bereits in „freundschaftlichem Kontakt“ mit dem Verein und damit auch mit den federführenden Partnerstädten Bünde und Löhne, die Städte Enger und Espelkamp werden 1988 folgen.
Ein eigenes Schullandheim modernster Bauart und Ausstattung auf einer schönen Nordseeinsel, das mittlerweile insgesamt etwa einen Wert von über vier Million DM darstellt, jährlich fast 3000 Schüler, die dieses Heim nutzen können, ein Jahresumsatz von etwa 1,7 Millionen DM und eine derzeitige Mitgliederzahl von gut 1300, erinnern wir uns, 23 Mitglieder sind es im Gründungsjahr gewesen, ein Heim mit guter Stammbesatzung von Hausmeister, Köchin, Beiköchin, und dann di vielen, vielen der Sache wohlgesinnten, das berechtigt zu konkreten Hoffnungen. Und wenn Storm einmal gesagt hat: „Vierzig Jahr –ein Mann!“, wenn er ein Leben meint mit durchlebten Höhen und Tiefen, mit Erfolgen und Rückschlägen, mit Erfahrungen jeglicher Art, aber auch mit Stolz auf das Erreichte, das Bleibende, und deshalb mit optimistischem Blick in die Zukunft, dann läßt sich das auch für den Verein, für unseren „Verein Bünder Schullandheim“ sagen.
Der Text findet sich in der Chronik zum 40-jährigen Bestehen des Vereins 1987 und wurden von Hannelore E. Brand und Klaus Schröder verfasst.
Fortsetzung der Chronik 1987 - 1997
Zehn Jahre - wo sind sie geblieben?
Wieder greifen dei Chronisten zu Stift und Papier - oder geht's gleich an den PC?
Nein - besser nicht, dei Gedanken müssen erst spazierengehen.
Von einem "optimistischen Blick in die Zukunft" war am Schluß der Chronik zum 40-jährigen Bestehen des Vereins Bünder Schullandheim e.V. die Rede. In der Rückschau offensichtlich keine falsche Prognose.
Treten wir den Beweis an:
Zwar steht das Gebäude auf gesunden Fundamenten und trotzt erfolgreich dem nagenden Zahn des salzhaltigen Seewindes, aber eine neue Zeit bringt auch andere Erfordernisse mitsich. Zwei weitere Klassenräume, eine bedienungsfreundliche Zentralheizung, teilweise neues Mobilar und, nicht zu vergessen, eine neue Verklinkerung. Sie hebt das Norddeutsch-Charakteristische so richtig hervor und läßt unser Heim von der Dünenlandschaft aus den Besucher von weitem mit "rotem, dem Wetter trotzenden Gesicht" grüßen.
Und was sagt die Bilanz dazu?
Na ja, eine Million kommt schnell zusammen.
Der amtierende Vorstand hat da im wahrsten Sinne des Wortes "etwas in die Sonne gestellt". Und der Vorsitzende Klaus Hildebrand und sein Schatzmeister Heinz Bresser können sicherlich beruhigt die Kommandobrücke verlassen, um das Steuerruder ihren Nachfolgern zu übergeben. Das nun, ein Novum in der Geschichte des Vereins, von "zarter Hand" bewegt wird.
Am 27.April 1989 übernimmt Gabriele Cäsar die Kapitänsmütze. Sehr verbunden fühlt sie sich der Sache. Ist sie doch seit langem Realschullehrerin im Bünder Norden und hat so manche Klasse auf die Insel Wangerooge begleitet.
Zur Seite steht der Dame ihr Kollege Hermann Suttmann, der nun die Finanzen hütet, getreu dem Prinzip: Im Team läßt sich manches gut angehen.
Kollege Reinhard Franz bleibt als Geschäftsführer dem Verein erhalten, ebenso der Schriftführer Hans-G. Schulz, der zudem in bewährter Weise seinen Sachverstand als Diplomingeneur einbringt. Unter seiner Regie werden nach wie vor die notwendigen "Arbeitskuren'" erfolgreich "gefahren"!
Was wäre schließlich der Verein ohne die Begeisterung und den Einsatz der vielen freiwillig helfenden Hände. - Denn schon zeigen sich neben den Reparaturarbeiten schon wieder neue Projekte am Horizont.
1992 beginnt man mit dem Bau des zweiten Dienstbungalows. Die Ausführung obliegt nun dem neuen Vorsitzenden Hermann Suttmann. Au in der Geschäftsführung findet ein Wechsel statt. Reinhard Franz übergibt sein Amt, in dem er zehn jahre lang, stets mit spitzem Bleistift rechnend und sorgfältig kalkulierend, engagiert für den Verein gewirkt hat, an Karl-Heinz Wehmeier. Für eine Übergangszeit nimmt Marianne Vogt den Aufgabenbereich der Schatzmeisterin wahr. Das Ergebnis der Bemühungen sieses Vorstandes kann 1993 in Augenschein genommen werden; denn der zweite Dienstbungalow ist gezugsfertig und die Summe von 420 000,-- DM allemal wert.
Noch eine Investition wird getätigt, worüber sich besonders die sportlich aktive heimjugend freut: Der Sportplatz erstrahlt in neuem Glanze! Ein Sportler mit Leib und Seele ist es auch, der ab April 1994 seine ganze Kraft dem Verein widmet.
Für Wangerooge scheut er keine Anstrengung! Eingeweihte wissen, daß Karl-Heinz Wehmeier sich sogar auf das Fahrrad schwingt und die Strecke zum Schiff, das ihn auf seine geliebte Insel bringt, aus eigener Muskelkraft bewältigt. Seine Crew, zu der neben Hans-G. Schulz nun auch Schatzmeisterin Birgit Krüger und der Geschäftsführer Kurt Bertram gehören, hält das Vereinsschiff auf sicheren Kurs. - Renovierungen werden angesteuert, Fenster erneuert. Und das kostet! 230 000,-- DM sind notwendig, damit es immer noch schöner wird, die Wärme im Gebäude bleibt und der Wind weniger durch die Fensterritzen pfeift.
Ach ja, vom Schiff, seinen Kapitänen und der Crew war oft die Rede. Was passt nach Wangerooge besser als ein Schiff? Was gehört auf das Gelände des Schullandheimes? Natürlich, ein Schiff.
Spenden sind in Zeiten schmaler werdender öffentlicher Geldbeutel immer wilkommen. Und so darf sich der Verein im Mai 1996 über ein 27m langes Spielschiff freuen, zu dem der Rotary Club Herford-Widukind der Heimjugend verhilft.
Mit einer zünftigen Schiffstaufe wird es dem Verein übergeben - optisch sicherlich eine Bereicherung, pädagogisch: ungeahnte Möglichkeiten, wie sich inzwischen Erkennen läßt. Auch dieses Schiff ist - Gott Lob - "nie ohne Mannschaft"!
Und was hat der Verein noch vor? Auch hier riskieren wir einen Zukunftsblick und wünschen schon jetzt für die geplante Maßnahme "Satteldach" gutes Gelingen - Und die notwendigen Mittel von ca. 800 000,-- DM. Mal sehen, vielleicht liest diese Zeilen ja ein unterstützender Spender. Der Vorsitzende Karl-H. Wehmeier und die Vereinsbesatzung würden sich freuen.
Dem Verein Bünder Schullandheim und allen in ihm engagierten Kräften allzeit "frischen Wind, gute Fahrt und stets die notwendige Handbreit Wasser unterm Kiel"!
Der Text findet sich in der Chronik zum 40-jährigen Bestehen des Vereins 1987 und wurden von Hannelore E. Brand und Klaus Schröder verfasst.